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1529 – Wie sich in Hamburg die Reformation durchsetzte - Disputationen entscheiden über die Konfession

—VON THOMAS ILLG Die kirchliche Situation Als höchste geistliche Autorität Hamburgs fungierte der Erzbischof von Bremen. Seit 1511 hatte dieses Amt der welfische Herzog Christoph von Braunschweig- Wolfenbüttel (1487–1558) inne. Christoph war als grausamer und willkürlich herrschender Machtpolitker gefürchtet, als geistlicher Regent wurde er nicht wahrgenommen. Der Hamburger Historiker und Domdekan Albert Krantz (1448– 1517), einer der wenigen Hamburger Humanisten, beschrieb Christoph als einen Mann voll fürstlichen Stolzes, Übermuts und Jähzorns, dem jede geistliche Neigung mit Ausnahme des kirchlichen Pomps fremd war. In dieser Charakterisierung spiegelt sich einiges von dem wider, was an kirchlichen Würdenträgern des ausgehenden Mittelalters kritisiert wurde: der Missbrauch des geistlichen Amtes für machtpolitisches Taktieren, zur Anhäufung von Einfluss und weltlichen Gütern bei gleichzeitiger Immunität.

Dompropst und Domdekan

Neben dem Dompropst nahm im Domkapitel der Domdekan eine wichtige Funktion ein. Er führte den Vorsitz in den Beratungen und beaufsichtigte die zur Diözese gehörenden Priester. Da die Kirchenleitung auf anderen Ebenen nicht flächendeckend wahrgenommen wurde, kam diese Aufgabe faktisch dem Domdekan zu. Seit 1508 bis zu seinem Tod übte Albert Krantz das Amt des Domdekans aus. Er nahm sein Amt mit hohem Verantwortungsbewusstsein wahr und setzte sich dafür ein, den Missständen in der Amtsausübung der Priester entgegenzuwirken. In Hamburg –und nicht nur dort – wurde immer wieder Kritik am Pfaffentum der Geistlichen laut. Die Bevölkerung nahm eine deutliche Distanz wahr zwischen dem tatsächlichen Erscheinungsbild der Würdenträger und dem, was sie als eigentliche Aufgabe der Kirche empfand, nämlich die Gnade Gottes in Messen zu vermitteln und als Seelsorger tätig zu sein. Krantz ermahnte die ihm unterstehenden Priester, ihre seelsorglichen Aufgaben gewissenhaft zu erfüllen, den Zölibat zu achten und den Laien ein Vorbild zu sein.

Wittenberg zog Studenten aus Hamburg an

Eine Reaktion auf theologische Schriften und Konzeptionen Martin Luthers setzte in Hamburg bereits im Jahr 1519 ein. Aus Hamburg stammende Studenten schrieben sich in die Matrikelbücher der Wittenberger Universität ein, um dort Theologie zu studieren. Vermutlich waren zu dieser Zeit bereits in deutscher Sprache verfasste Schriften Luthers in Hamburg zu lesen, in denen der Reformator sich mit den Sakramenten der Taufe, der Buße und des Abendmahls auseinandersetzte. Nach dem Reichstag zu Worms wurde das Echo auf die reformatorische Bewegung in Hamburg stärker. In der Anfangsphase sorgten Laien für dieVerbreitung von reformatorischem Gedankengut.

1521/22 wandten sich drei angesehene Bürger der Lutherschen Lehre zu: Detlev Schuldorp, ein reicher Kaufmann und Englandfahrer, Dirk Ostorp, Goldschmied und Münzwardein (ein Beamter, der die Münzprägung überwacht) – beide gehörten zum Kirchspiel St. Petri – und der zum Kirchspiel St. Nikolai gehörende Kaufmann und Schonenfahrer Friedrich Ostra. Das Haus von Detlev Schuldorp in der Kleinen Reichenstraße wurde zu einem Zentrum der frühen Anhänger der Reformation.

Erste reformatorische Predigten

1522 begann Johann Widenbrügge, ein Prämonstratenser, in Hamburg im Sinne der Reformation zu predigen. Da ihm die Predigt in den Kirchen der Stadt verwehrt wurde, sprach er in verschiedenen Bürgerhäusern. Unterkunft fand er bei Detlev Schuldorp. Widenbrügges Predigten riefen bald den Widerstand des Domkapitels und der in Hamburg ansässigen Dominikaner hervor. Es kam zu zwei offiziellen Lehrauseinandersetzungen (Disputationen), die dazuführten, dass Widenbrügge die Stadt verlassen musste. Mit Johann Osenbrügge (hochdeutsch: Johann von Osnabrück) folgte Widenbrügge 1523 allerdings ein weiterer evangelisch predigender Bruder nach.

Reformatorische Schriften erschienen im Druck 

Gefördert wurde die Ausbreitung der Lutherschen Theologie zudem durch die Verbreitung von Schriften des Reformators und seiner Anhänger. 1522/23 veröffentlichte eine neu in Hamburg ansässige Druckerei in kurzen Zeitabständen 16 Drucke in niederdeutscher, ost- und westniederländischer Sprache.

Darunter waren in einfacher Sprache gehaltene Schriften Luthers sowie das Neue Testament, ebenfalls in niederdeutsche Sprache gebracht. Höchstwahrscheinlich steht Simon Corver als Drucker hinter der Produktion dieser anonym erschienenen Drucke. Um die Inquisition zu umgehen, hatte er seine Druckerei aus Zwolle nach Hamburg verlegt.

Ein Franziskaner befördert die Reformation

Einen weiteren Aufschwung erfuhr die Bewegung 1523 durch den aus Rostock stammenden Franziskaner Stephan Kempe. Kempe war nach Hamburg gereist, um Angelegenheiten des Franziskanerordens zu regeln. Während seines Aufenthaltes predigte er in der Klosterkirche St. Maria Magdalenen. Durch seine überzeugende und volkstümliche Predigtweise sammelte sich bald eine große Schar von Hörern um ihn. Als Kempe nach zwei Monaten nach Rostock abberufen werden sollte, bat eine Abordnung von Bürgern um eine dauerhafte Versetzung Kempes in den Hamburger Franziskanerkonvent. Das Domkapitel und auch die Dominikaner wandten sich gegen das Wirken Kempes. Anders als im Falle Widenbrügges gelang es ihnen jedoch nicht, Kempe in seiner Tätigkeit zu behindern. Bewegt durch Kempes Predigten wandte sich die Mehrheit der erbeingesessenen Bürger Hamburgs der Reformation zu.

Konflikte prägen den weiteren Verlauf der Reformation

In Hamburg wurde die Ausbreitung der reformatorischen Bewegung von Konflikten begleitet. Gegen die Reformation arbeiteten das Domkapitel als oberste Kirchenbehörde und die Mitglieder des Dominikanerordens. Die Mehrheit der Bürger und des Rates standen jedoch der Reformation nahe. In der Weihnachtswoche 1526 wies der Rat die Pastoren an, den Konflikt durch entsprechende Äußerungen in ihren Predigten nicht zu verschärfen. Größere Unruhen in der Stadt sollten so verhindert werden. Weder sollten sie die bestehende Ständeordnung hinterfragen, noch sollten sie sich kritisch gegen Heiligenbilder und geltende kirchliche Zeremonien wenden. Gleichzeitig wurde den Predigern aufgetragen, das rechte, reine und heilige Evangelium zu verkündigen und sich dabei an die bewährte kirchliche Lehre zu halten. Prediger, die der Reformation zuneigten, sahen in diesem Mandat die Möglichkeit, evangelisch zu predigen.

Disputationen sollen die Konflikte entschärfen und verhelfen der Reformation zum Durchbruch

Für den Verlauf der hamburgischen Reformation wurde der Mai 1527 bedeutsam. In einer Disputation sollte nach mehreren Konflikten entschieden werden, ob die Position der Altgläubigen oder der Evangelischen den Aussagen der Heiligen Schrift entspreche. Diese grundsätzliche Frage sprengte eigentlich die Möglichkeiten einer Disputation. Da das Domkapitel und an seiner Spitze der Domdekan nicht in der Lage waren, diesen Konflikt zu steuern, übernahm der Rat die Schirmherrschaft und trat am Ende als Schiedsinstanz auf. Den Evangelischen, vertreten durch Stephan Kempe und die Pastoren von St. Nikolai und St. Jacobi, wurde schließlich zugesprochen, im Recht zu sein.

Inzwischen wurde in drei von vier Kirchspielen im Sinne der reformatorischen Theologie gepredigt und gelehrt; allein St. Petri hatte sich der Bewegung nicht angeschlossen. Um einen gewaltsam ausgetragenen Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern der Reformation zu vermeiden, ordnete der Rat im April 1528 eine zweite Disputation an. Gestritten wurde über die folgenden kirchlichen Lehrpunkte: die Autorität der Heiligen Schrift, die Beichte, den Abendmahlsempfang, das Messopfer, das Fegefeuer, die Verehrung von Heiligen, den Zölibat und die Bedeutung von guten Werken.

Da der Rat im Vorfeld der Disputation bereits beschlossen hatte, allein die Bibel als Grundlage einer Entscheidung zuzulassen, nicht aber die katholische Lehrtradition, konnten die Altgläubigen einen wichtigen Teil ihrer Lehrgrundlagen nicht ins Feld führen. Auch in dieser Disputation siegten die Vertreter der Reformation.

Die reformatorische Bewegung hatte sich damit in Hamburg durchgesetzt. In der Folge mussten fünf katholische Geistliche die Stadt verlassen, andere schlossen sich ihnen freiwillig an, die Übrigen wurden aufgefordert, der katholischen Lehre abzusagen. Die Feier der römischen Messe wurde bald verboten. Das Domkapitel musste seine Entmachtung hinnehmen. Einer neuen Ordnung folgend wurde ein aus 144 Personen bestehender Bürgerausschuss gegründet, der gemeinsam mit 12 Oberalten (jeweils drei Ältesten der vier Hauptkirchen) in politischen und kirchlichen Fragen im Rat mitentschied. Das Kirchenregiment oblag damit nicht mehr dem Domkapitel, sondern dem Rat, der Bürgerschaft und den Vertretern der Hamburger Geistlichkeit.

Konsolidieren, sichern, ordnen und regeln

Entscheidend für die Konsolidierung der Reformation und die rechtliche Ordnung der einzelnen Maßnahmen ist die von Johannes Bugenhagen er-stellte Kirchenordnung, die am 15. Mai 1529 von Rat und Bürgerschaft angenommen wurde. Nachdem Bugenhagen schon 1524 zum Pfarrer an St. Nikolai berufen werden sollte, dies aber vom Rat abgelehnt worden war, beriefen ihn Bürgerschaft und Rat im Oktober 1528. Die von Bugenhagen zuvor für Braunschweig entwickelte Kirchenordnung wurde zu einem Prototyp für Hamburg und für weitere norddeutsche Städte.

Während Bugenhagens Tätigkeit in Hamburg – er blieb bis zum 9. Juni 1529 – entstand auch der sogenannte »Lange Rezess«, in dem die Veränderungen, die sich aus der Reformation für das Kirchenrecht und die Stadtverfassung ergeben hatten, geregelt wurden. Er legte in Artikel 59 fest, dass in Hamburg allein die Luthersche Lehre zu gelten habe.

In Hamburg war die Reformation durchgesetzt worden. Die Reichskirchenpolitik des Kaisers stand reformatorischen Bestrebungen jedoch feindlich gegenüber, und Hamburg drohte in den 1530er Jahren die Reichsacht. 1536 trat Hamburg dem Schmalkaldischen Bund bei, einem Bündnis protestantischer Fürsten, das unter der Führung Kursachsens und Hessens agierte. Nachdem der Schmalkaldische Bund im April 1547 dem Kaiser unterlegen war, drohten der Hansestadt von Seiten des Reichs immer wieder Sanktionen. Wegen der Randlage im Reich kam es allerdings nicht zur Vollstreckung von kaiserlichen Strafmaßnahmen. Erst der 1555 geschlossene Augsburger Religionsfrieden brachte der Stadt und den lutherischen Reichsständen die Sicherung ihrer Besitzstände und die Zusicherung der freien Religionsausübung.

DR. THEOL. THOMAS ILLG ist Pastor und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kirchen- und Dogmengeschichte des Fachbereichs Ev. Theologie der Universität Hamburg.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig