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Interview

"Wir feiern Gottes Zusage an die Menschen"

16.11.2015 | Christina aus der Au ist die Präsidentin des 36. Deutschen Evangelischen Kirchentags 2017. Wir haben mit ihr über das Reformationsjubiläum gesprochen.

Christina Aus der Au

reformation-im-norden: Was feiern wir eigentlich?

Christina Aus der Au: Interessant ist ja, dass wir etwas feiern, das es so eigentlich nie gab, denn Luthers Thesenanschlag an die Wittenberger Schlosskirche 1517 ist mehr Überlieferung als historische Tatsache. Gleichzeitig feiern wir aber etwas, dass immer ist und immer war und hoffentlich auch noch lange kommt – Gottes bedingungslose Zusage an uns Menschen. Wir feiern, dass es die Kirche gibt, und dass es sie in so vielen Formen und Ausprägungen gibt. Und wir feiern, dass Menschen sich aus ihrem Glauben heraus für Veränderung und Verbesserung einsetzen, in ihrer Kirche und in der Gesellschaft, gestern wie heute. Martin Luther ist dafür zum Sinnbild geworden und so ist es auch in Ordnung für alle, sich dieses Jubiläums jetzt zu erinnern. Das gilt sogar für die katholische Kirche, denn auch sie war nach der Reformation nicht dieselbe, die sie vorher war. Insofern können wir das vielleicht auch alle zusammen feiern.

reformation-im-norden: Die Reformation zusammen feiern, ein schönes Stichwort. Der Kirchentag ist ja entstanden, weil seine Gründer vom Verhalten der verfassten Kirche im Dritten Reich enttäuscht waren. Da scheint es doch bemerkenswert, dass jetzt gemeinsam die Existenz der Kirchen gefeiert werden soll, oder?

Christina Aus der Au: Die Kirche wird, wie auch der Kirchentag, von Christinnen und Christen getragen und gestaltet – und ich habe so viele fröhliche, offene und begeisterte Menschen überall getroffen und kennen gelernt, die dieses besondere Jahr in besonderer Weise feiern wollen, da mache ich mir überhaupt keine Sorgen, dass das nicht gelingt. Die Planungen sehen viele einzelne Aspekte vor. Auch 2017 findet der Kirchentag als Kirchentag statt, es gibt gemeinsam von der EKD und dem Kirchentag verantwortete Projekte und andere Veranstaltungen der EKD und der einzelnen Landeskirchen sind jeweils eigene Formate, die zu einem Kanon gebunden sind.

Gemeinsam feiern wir ja auch nicht EINE Kirche, sondern wir feiern die Gemeinschaft der Heiligen, den Leib Christi, die Ecclesia, die hörende Kirche, das Geschöpf des Wortes oder wie man es beschreiben will. Es geht nicht um die lutherische oder die reformierte Kirche – es geht auch nicht um Protestanten und Protestantinnen. Wir feiern, dass es Kirche gibt, dass wir getragen sind von Gottes ewiger Zusage, das wir gemeinsam unterwegs sind und auch, dass wir durchatmen können, weil eigentlich der Grund ja gelegt ist, ganz im Sinne von „kommt, seht und schmecket wie freundlich der Herr ist“.

reformation-im-norden: Das Reformationsjubiläum wird ja auch von Menschen gefeiert, die sich nicht als Christinnen oder Christen bezeichnen – ist das eine Chance, oder kann diese Vielfalt der Motivationen auch zur Falle werden?

Christina Aus der Au: Die Falle in diesem Jubiläum liegt eher darin, das man nur die Vergangenheit betrachtet. bzw feiert. Wenn wir nur die Person Luther in den Blick nehmen und ausschließlich zurückgewandt darauf schauen, wo er war und was er dort tat. Wir sollten das Jubiläum eher im Sinne von Ecclesia semper reformanda feiern, und die Einflüsse von außen als Impulse wahrnehmen. Es gab überall so viele Männer und Frauen, die die Gnade für sich wiederentdeckt haben, und fanden, dass sie in der Institution Kirche zu wenig sichtbar ist.

Und genau solche Menschen gibt es heute auch noch, die sich aus ihrem jeweiligen Kontext kritisch mit Kirche auseinander setzen und Dinge einfordern. Diesen Geist müssen wir entdecken und darüber nachdenken, was das für uns bedeutet. Zu Luthers Zeiten war es die Sprache der Menschen auf der Straße, die nötig war, um die Veränderungen zu bewirken. Möglicherweise müssen wir auch heute wieder neu nach Worten suchen, und vielleicht ist es tatsächlich eine unkirchlichere oder gar unchristlichere Sprache, in der wir entdecken und feiern können, dass Gott Ja sagt zu uns.

reformation-im-norden: Was wünschen Sie sich als Ergebnis der Feierlichkeiten, was sollen die Menschen 2018 im Rückblick vom Reformationsjubiläum erinnern?

Christina Aus der Au: Ich wünsche mir, dass die Menschen miteinander geredet haben. Dass sie sich angesehen, in den Blick genommen und miteinander gesprochen, gestritten, gerungen haben. Es wäre schön, wenn Christinnen und Christen sich mit ihrem Glauben auseinandergesetzt haben, aber es wäre auch spannend, wenn die säkularen Menschen durch das Jubiläum mit dem Christentum in Berührung gekommen sind. Dabei meine ich nicht, dass alle einer Meinung sein sollen, aber ich wünsche mir, dass es gegenseitige Begegnung gibt und wir sagen können: „Wir haben ein paar Schritte auf einander zu gemacht“.

reformation-im-norden: Was wünschen Sie sich speziell für die vielen christlichen Engagierten in den Jubiläumsvorbereitungen?

Christina Aus der Au: Die Christinnen und Christen dürfen gerne mutiger und auch lauter werden, sich mehr einbringen und hörbarer werden. Ich wünsche mir, dass sich dabei niemand von Dienstwegen oder strukturellen Vorgaben hindern lässt, sondern dass mehr Menschen einfach machen, was ihnen wichtig ist.

In diesem Jubiläumsjahr wird der Protestantismus deutlicher zu sehen sein, als in irgendeinem anderen Jahr, da können wir auch wahrnehmen, wie viele wir sind, und welche Kraft wir entfalten können. Wir müssen nicht immer nur über schwache Finanzen und schwindende Zahlen jammern, wir können auch etwas bewegen. Luther und die anderen haben zu ihrer Zeit etwas getan – das können wir auch, also lasst uns einfach fröhlich, laut und mutig Christinnen und Christen sein.