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Was zählt wie viel

Europäischer Stationenweg in Kiel

02.05.2017 | Rund 500 Menschen haben am Sonnabend in Kiel die einmalige Chance genutzt, sich den Europäischen Stationenweg anzusehen. Die Landeshauptstadt war der einzige Halt des Multimedia-Trucks, der Geschichten zur Reformation präsentiert und sammelt, in der Nordkirche.

BU: Wollten sich den Truck des Europäischen Stationenwegs in Kiel nicht entgehen lassen: Gothart Magaard, Anupama Hial, Dorothea Catharina und Asmus Bremer, Ulf Kämpfer (v. l.)

Dieser Tag in Kiel stand unter dem Motto „Was zählt wie viel“. An den Bildschirmen folgten die Besucher im Truck den Erzählungen von Leuten aus der Region, die Brüche in ihrem Leben erfahren haben. Auch der Schleswiger Bischof Gothart Magaard setzte sich die Kopfhörer auf: „Letztlich geht es um die Frage, woran wir unser Herz hängen. Darum, wie wir unser Leben gestalten, unsere Gesellschaft, unser Miteinander.“ Der Bischof erklärte, dass diese Lebensbrüche bereits Martin Luther und viele seiner Zeitgenossen erlebt hätten.

Einer dieser Zeitgenossen zog in Kiel besondere Aufmerksamkeit auf sich: Melchior Hoffman. Eine eigens für den Europäischen Stationenweg produzierte Dokumentation stellte den Laienprediger vor, der anno 1528 in Kiel für Aufruhr sorgte. Als sogenannter Schwärmer gehörte er dem radikalen Flügel der Reformation an. Von der Kanzel der Kieler St. Nikolaikirche prangerte er die sozialen Missstände in der Stadt an und scheute nicht davor zurück, Mitglieder des Rates persönlich anzugreifen. Es soll deshalb sogar zu Prügeleien im Gotteshaus gekommen sein.

„Im Grunde ging es schon damals darum, was die richtigen, die wichtigen Dinge sind, die zählen“, staunte Kieler Oberbürgermeister Dr. Ulf Kämpfer. Gemeinsam mit Bischof Magaard stattete er dem Truck einen Besuch ab. „Wenn man sich die Reformation vor Augen führt, dann kommt einem heute alles gedämpft vor. Manchmal wünsche ich mir dieses Feuer zurück“, sagte das Kieler Stadtoberhaupt.

Funken dieses Feuers sprühten als Miriam Buthmann zur Gitarre griff. Mit ihrer Band gab sie quasi ein Wohnzimmerkonzert im Truck. Mit Songs über Psalmtexte steckte sie die Besucher zum Mitsingen von Kirchentagsklassikern an. Nicht fehlen durfte „Du bist ein Gott, der mich anschaut“, das offizielle Eröffnungslied für den Evangelischen Kirchentag 2017, der im Mai in Berlin und Wittenberg gefeiert wird. Im Anschluss daran begeisterte die Poetry-Slammerin Lena Iwersen das Publikum am Truck.

Zum Rahmenprogramm des Europäischen Stationenweges gehörte außerdem die thematische Stadtführung „Freiheitsimpulse“ mit Uwe Trautsch. Für die Verpflegung auf dem Rathausplatz sorgte das Projekt „Pausenboot“.  Schon am Vorabend war der Europäische Stationenweg in der St. Nikolaikirche eröffnet worden. Unter anderem lasen dabei Schauspieler aus einem Briefwechsel zwischen Martin Luther und verschiedenen Akteuren. Mit Reden und einem Impulsreferat fand der Sonnabend seinen Abschluss.

In den Ratssaal hatten die Landeshauptstadt Kiel, der Kirchenkreis Altholstein und die Arbeitsstelle Reformationsjubiläum der Nordkirche zu einem Empfang geladen. An die 100 Gäste hörten gespannt, wie die indische Pastorin Anupama Hial aus der Ev.-Luth. Jepore-Kirche darüber sprach, welche Bedeutung die Reformation in ihrem Heimatland bis heute hat. „Das Luthertum hat vielen Dalits, also den Unberührbaren in der indischen Gesellschaft, eine Identität gegeben“, hob Hial hervor. Denn auch sie könnten sich als Gottes Ebenbild fühlen. Die Pastorin zeigte auf, wie stark die Lutherischen Kirchen in Indien das Land bewegen, obgleich sie nur eine Minderheit darstellen. „Wir werden als Vorreiter derer wahrgenommen, die alten Traditionen, insbesondere das Patriarchat reformieren“, erläuterte Hial. Martin Luther und seine Werte seien bis heute in vielen Lebensbereichen präsent.

Die Pastorin forderte, dass die Reformation, die als Protestbewegung vor 500 Jahren begonnen hat, in Gesellschaften, Kirchen, Nationen und politischen Institutionen fortgesetzt werden sollte, im Sinne einer permanenten Veränderung. „Keine kirchliche und weltliche Macht kann den Geist der Reformation, die Prinzipien von Verantwortung, Transparenz und Gerechtigkeit unterdrücken“, schloss Anupama Hial unter anhaltendem Applaus der Gäste.

Auf die Bedeutung der Reformation für Europa wies bei diesem Empfang der Präses der Landessynode der Nordkirche, Dr. Andreas Tietze, eindrücklich hin. Er forderte auf, Europa begeisternd zu vertreten. „Es lohnt sich mit den Menschen über Europa und die Reformation ins Gespräch zu kommen“, sagte Tietze. Das gelte umso mehr in Anbetracht von Brexit oder nationalistischer Bestrebungen in einzelnen Ländern. Der Präses dankte dem Team des Europäischen Stationenwegs für ihre Arbeit und dafür, dass sie die „Europastadt Kiel“ besucht haben.

Am Sonntag endete dieser Besuch Europäischen Stationenwegs mit dem Partnerschaftsgottesdienst in der St. Nikolaikirche. Danach brach der Geschichtentruck zu seiner nächsten Station, Lemgo, auf. Seine Tour durch 19 Länder endet am 20. Mai in der Lutherstadt Wittenberg zur Weltausstellung Reformation „Tore der Freiheit.“ Der Europäische Stationenweg ist ein internationales Projekt der Evangelischen Kirchen zum Jubiläum „500 Jahre Reformation“.